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von Carel Mohn

Dekarboni-Dingsbums

Dekarboni-Dingsbums, oder: Was machen eigentlich die lästigen Kohleausstiegsdrängler von gestern? Damit die Fördermilliarden ihren Segen entfalten können, muss jetzt über Regeln für Beteiligung und Mitsprache der Zivilgesellschaft gesprochen werden. Ein Plädoyer.

In den drei deutschen Kohleregionen stehen seit dem Votum der Kohlekommission die Zeichen auf beschleunigten Wandel. Der Umbau einer bisher stark von der Braunkohle geprägten regionalen Wirtschaftsstruktur steht für alle drei Regionen auf dem Programm aller lokalen und regionalen Akteure. Die Kommunalpolitik, die Landkreise und Landesregierungen, die Kammern und Gewerkschaften, die Wirtschaftsförderung und Wissenschaftsinstitutionen, sie alle haben in großer Intensität und Dynamik damit begonnen, für die milliardenteuren Förderprogramme zum Strukturwandel Projekte zu entwickeln, neue Förderstrukturen und neue Institutionen der Regionalentwicklung zu etablieren.

Wirksamer Klimaschutz und die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – darum geht es in Mitteldeutschland, im Rheinischen Revier und in der Lausitz. Aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive ergeben sich hieraus eine Reihe von Problemen und offenen Fragen:

  1. „Dekarboni-Dingsbums“: Die Milliardenhilfen des Bundes sind nur dann gerechtfertigt, wenn hiermit der ernsthafte Aufbau einer nachhaltig klimaverträglichen Wirtschaftsstruktur verbunden ist. Maßstab für die Kohleregionen muss sein, dass die regionale Wirtschaft mit Hilfe der Fördermilliarden deutlich schneller und früher auf einen Pfad klimaneutralen Wirtschaftens, also von Netto-Null-Emissionen kommt als andere Regionen.
    Bisher ist allerdings offen, inwiefern die bereits geplanten und künftig noch hinzukommenden Projekte tatsächlich hierauf ausgerichtet sind – oder ob nicht die Gefahr besteht, dass Fördermittel auch dann fließen, wenn sie zu Rebound-Effekten führen, wenn also die Energie- und Ressourcen-Einsparungen an der einen Stelle zu neuem Energieverbrauch oder steigendem Ressourceneinsatz an der anderen Stelle einladen. Ebenso widersinnig wäre es, wenn Fördermittel für die Strukturentwicklung zu einem Ausbau CO2-intensiver Strukturen beitragen (wie es beispielsweise bei einem Ausbau oder Neubau von Straßeninfrastruktur innerhalb des vorhandenen Verkehrsmixes der Fall wäre).
    Die Frage ist also, ob für jeden Förder-Euro eine entsprechende Dekarbonisierungs-Konditionalität besteht und ob lokale und regionale Entscheidungsträger eine entsprechende Koppelung als Gestaltungschance wahrnehmen – oder aber als lästiges und zu umgehendes „Dekarboni-Dingsbums“ abtun. Notwendig ist deshalb ein Monitoring der Koppelung von Fördermitteln an strukturelle Dekarbonisierung, in das auch die Zivilgesellschaft als regionale Wissens- und Verantwortungsträger eingebunden ist. Nur so besteht die Gewähr, dass die drei bisherigen „Reviere“ tatsächlich zu Modellregionen für künftiges Leben, Arbeiten und Wirtschaften werden.
  2. Establishment vs. Ehrenamt: Zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich seit Jahrzehnten für eine klimaverträgliche Strukturveränderung in ihren Regionen ein – und zwar in fast ausschließlich ehrenamtlichem Engagement, als kostenloser Dienst an der Gesellschaft. Allein ihrem Druck und ihrer Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass der Kohleausstieg jetzt nicht allein über Marktkräfte erfolgt, sondern dass dies nun in einem politisch gestalteten und finanziell großzügig abgepufferten Rahmen stattfindet. Und Hand aufs Herz: Ohne den hartnäckigen, langjährigen, für die Politik oft lästigen Druck „von unten“, Energiewende und Klimaschutz beherzt anzupacken, könnte heute eine Brandenburger Landesregierung keinen Ansiedlungserfolg wie den von Tesla feiern.
    Obwohl es letztlich also dem Drängen und Drängeln der Zivilgesellschaft zu verdanken ist, dass der Kohleausstieg zum unausweichlichen Punkt auf der Agenda wurde: Offen ist, wie zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Fachkompetenz, ihr lokales Wissen und ihr Engagement jetzt konstruktiv in den hoch dynamischen Prozess einbringen können, der in den Kohleregionen gerade heißläuft. Polemisch formuliert liefern sich in diesem Prozess derzeit ausgerechnet diejenigen bezahlten Vollzeitfunktionäre in Verwaltungen, Kammern und Wirtschaftsfördergesellschaften ein Wettrennen darum, wie sie unter dem Stichwort Kohleausstieg am meisten Fördermittel in die von ihnen favorisierten Projekte lenken können, die dem Kohleausstieg bislang reserviert bis offen feindselig gegenüberstanden.
    Die Frage ist also, wie Zivilgesellschaft mindestens ansatzweise die Rolle eines Watchdogs und Korrektivs wahrnehmen kann – und wie sie hierbei aus einer Position struktureller Autonomie heraus agieren kann, ohne sich von Fördermitteln abhängig zu machen oder zum Legitimationsbeschaffer für „Bürgerbeteiligung“ zu werden. Diese Frage ist durchaus knifflig, es gehört geradezu zu den Strukturmerkmalen von Bergbauregionen, dass die übergroße Dominanz des Bergbausektors mit einer im Vergleich zu anderen Regionen ausgeprägten Schwäche dezentraler, kommunaler, zivilgesellschaftlicher und anderer kleinteiliger Strukturen einhergeht. Der Aufbau einer dauerhaft nachhaltigen, resilienten Wirtschafts- und Sozialstruktur muss also just den Entwicklungsfaktor stärken, der in diesen Regionen bislang besonders schwach ausgeprägt war-
  3. Coole Klimaziele vs. langweilige Regionalpolitik: Wirksamer Klimaschutz braucht nicht nur die abstrakte Ebene eines funktionierenden internationalen Rahmens und ambitionierte nationale bzw. europäische Klimaziele, sondern auch die konkrete, sichtbare, kleinteilige, erfolgreiche Umsetzung vor Ort. Ob und wie dies in den Kohleregionen gelingt, wird mit darüber entscheiden, inwieweit der Kohleausstieg als Erfolg wahrgenommen wird und auch international weitere Nachahmer findet (und zwar jenseits der Kohle auch in anderen fossil geprägten Regionen). Denn von Australien bis Indien, von China bis in die USA wird aufmerksam verfolgt, ob es den Deutschen gelingt, Klimaschutz, Strukturwandel und wirtschaftlichen Erfolg unter einen Hut zu bringen.
    Die Strukturentwicklung in allen drei deutschen Kohleregionen zu einem Erfolg zu machen – dafür müssen sich alle Beteiligten über ihre Erfahrungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit austauschen, und zwar auch über die Grenzen der einzelnen Reviere hinweg. Offen ist bislang allerdings, in welchem Rahmen ein solcher Austausch und eine solche überregionale Vernetzung künftig stattfinden können, das heißt, welchen institutionellen Rahmen es hierfür gibt und wie dies finanziert werden kann.
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